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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 15.09.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 35/03
Rechtsgebiete: Handelsklassengesetz, Lebensmittelgesetz, OWiG
Vorschriften:
Handelsklassengesetz § 7 Abs. 1 Nr. 3 | |
Lebensmittelgesetz § 53 Abs. 1 | |
Lebensmittelgesetz § 52 Abs. 1 Nr. 9 | |
Lebensmittelgesetz § 11 | |
Lebensmittelgesetz § 17 Abs. 1 Nr. 2 d | |
Lebensmittelgesetz § 17 Abs. 1 Nr. 5 b | |
OWiG § 19 Abs. 2 | |
OWiG § 21 |
2 Ss 35/03
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Beschluss vom 15. September 2003
wegen Ordnungswidrigkeit
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft F. gegen das Urteil des Amtsgerichts F. vom 28.11.2002 -23 OWi 44 Js 14237/02- wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft F. wird das Urteil des Amtsgerichts F. vom 28.11.2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht F. zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Im Bußgeldbescheid vom 20.02.2002 legte das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt F. dem Betroffenen zur Last, er habe als Verantwortlicher der Firma H. in F. am 08.08.2001 Tafeläpfel zur Lieferung bereitgehalten, die nicht den erforderlichen Qualitätsnormen entsprochen hätten. Damit habe er sich einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 der VO über EG-Normen für Obst und Gemüse, einer Verordnung, die zu den die Bußgeldbestimmung der §§ 1 Abs. 3 und 7, Abs. 1 Nr. 3 Handelsklassengesetz ausfüllenden Bestimmungen zählt (Erbs-Kohlhaas, strafrechtl. Nebengesetze Registerband Nr. 272), schuldig gemacht. Die Geldbuße wurde auf 175 Euro bemessen.
Durch den weiteren Bußgeldbescheid vom 28.05.2002 verhängte das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt F. gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 300 Euro, weil er am 21.12.2000 als Verantwortlicher der genannten Firma nicht die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen getroffen habe, um das Inverkehrbringen sortenvermischter Äpfel zu verhindern. Dadurch habe er eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit gem. § 130 OWiG i.V.m. §§ 17 Abs. 1 Nr. 5 b, 52 Abs. 1 Nr. 10, 53 Abs.1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz begangen.
Das Amtsgericht F. hat den Betroffenen auf seine Einsprüche hin durch das angefochtene Urteil von beiden Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft F. mit Erfolg.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Im vorliegenden Fall geht es um das Verhältnis der Bußgeldbestimmungen des Handelsklassengesetzes zu denjenigen des Lebensmittelgesetzes. Das Amtsgericht vertritt die Auffassung, die Bestimmungen des Handelsklassengesetzes würden als Spezialgesetze diejenigen des Lebensmittelgesetzes verdrängen. Eine Entscheidung eines Oberlandesgerichts ist zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht ergangen. Sie ist vorliegend entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und auch abstraktionsfähig. Da die Entscheidung des Amtsgerichts F. überdies von einer dem Senat vorliegenden Entscheidung des Amtsgerichts O. abweicht, ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
III.
Die mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts ist begründet und führt zur vollständigen Aufhebung des Urteils.
Das Amtsgericht, das zu den jeweiligen Tatvorwürfen keine Feststellungen getroffen hat, hat den Betroffenen aus Rechtsgründen mit der Erwägung freigesprochen, dass ihm allenfalls eine fahrlässige Tatbegehung vorgeworfen werden könne. Damit scheide eine Ahndung gem. § 7 des Handelsklassengesetzes aus, weil nach dieser Bestimmung nur vorsätzlich begangene Taten geahndet werden könnten. Die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes seien jeweils nicht anwendbar, weil die auf dem Handelsklassengesetz beruhenden Bestimmungen Spezialvorschriften gegenüber den Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes seien, so dass letztere nicht zur Anwendung gelangen könnten. Deshalb hat das Amtsgericht eine Überprüfung des Sachverhaltes darauf, ob die Verhaltensweisen des Betroffenen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 53 Abs. 1, 52 Abs. 1 Nr. 9 und 11 i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 1.2 d und Nr. 5b Lebensmittelgesetz (im folgenden LMBG) erfüllt haben, nicht vorgenommen.
Die Ansicht des Amtsgerichts, die Bestimmungen des LMBG seien nicht anwendbar, geht fehl. Das Gericht hat außer acht gelassen, dass § 10 des Handelsklassengesetzes bestimmt: "Die Vorschriften des Lebensmittelrechts bleiben unberührt." Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Vorschriften des Handelsklassengesetzes den Anwendungsbereich der Bestimmungen des LMBG nicht einschränken oder diese gar verdrängen. Dies folgt auch aus der vom Amtsgericht zutreffend gesehenen Unterschiedlichkeit der Zwecke des LMBG und des Handelsklassengesetzes (Zipfel, Lebensmittelrecht, LMBG, § 17, Rdn. 317). Während das LMBG den Schutz des Verbrauchers vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln und anderen in den §§ 1 bis 5 LMBG genannten Produkten und vor Irreführungen über ihre Beschaffenheit zum Ziele hat, dienen die Bestimmungen des Handelsklassengesetzes der Förderung der Qualität und des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte durch eine infolge von Standardisierung verbesserte Transparenz und Marktübersicht. Dem Amtsgericht ist zwar zuzugeben, dass das Handelsklassengesetz insoweit in das Lebensmittelrecht eingreift, als die Handelsklassenbezeichnungen Qualitätsbezeichnungen darstellen und damit auch der Information und dem Schutz des Verbrauchers dienen. Dies führt indessen nicht dazu, dass die Bußgeldtatbestände des Handelsklassengesetzes diejenigen des LMBG als Spezialvorschriften verdrängen. Vielmehr ist das Handelsklassengesetz für das LMBG nur insofern von Bedeutung, als es Auslegungsgrundsätze für die allgemeinen Begriffe des LMBG schafft (vgl. Zipfel, Lebensmittelrecht, Handelsklassengesetz § 10 Rdnr. 2, ebenso Zipfel in Erbs-Kohlhaas, strafrechtl. Nebengesetze, Handelsklassengesetz § 10 Rdnr. 1). Die vom Amtsgericht zur Stütze seiner Auffassung herangezogene Kommentarstelle (Zipfel in Erbs-Kohlhaas, strafrechtl. Nebengesetze, LMBG § 17 Rdnr. 210), wonach die Bestimmungen des Handelsklassengesetzes Spezialnormen gegenüber denjenigen des LMBG seien, ist, wie der Vergleich mit den vom gleichen Autor stammenden o.g. Kommentierungen zu § 10 Handelsklassengesetz und dessen klarer Wortlaut ergeben, missverständlich. Sie bezieht sich, wie der ihr folgende Hinweis auf § 17 Abs. 1 Nr.2 und 5b LMBG zeigt, nur auf einzelne Konkretisierungen, die das Handelsklassengesetz gegenüber diesen allgemeinen Bestimmungen für seinen Geltungsbereich vornimmt (Zipfel, Lebensmittelrecht, Handelsklassengesetz, § 1 Rdn. 5). Keineswegs aber trägt diese Kommentarstelle die dem eindeutigen Wortlaut des § 10 Handelsklassengesetz zuwider laufende Auffassung des Amtsgerichts, die Vorschriften des LMBG würden verdrängt. Das Gegenteil ist der Fall: Soweit der jeweilige Sachverhalt sowohl den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 7 Handelsklassengesetz als auch denjenigen einer Vorschrift des LMBG erfüllt, gehen dessen Straf- und Bußgeldvorschriften vor. Dies ergibt sich aus § 19 Abs.2 OWiG hinsichtlich der Bußgeldvorschriften, da § 53 Abs. 3 LMBG Geldbußen bis zu 25.000 Euro, § 7 Handelsklassengesetz jedoch nur Geldbußen bis zu einer Höhe von 10.000 Euro vorsieht. Hinsichtlich der Straftatbestände des LMBG gilt gegenüber den Bußgeldbestimmungen des Handelsklassengesetzes § 21 OWiG (Zipfel, Lebensmittelrecht, Handelsklassengesetz § 1 Rdn. 34).
Mithin hätte das Amtsgericht prüfen müssen, ob sich der Betroffene einer Ordnungswidrigkeit nach dem LBMG schuldig gemacht hat. Gemäß § 53 LBMG handelt u.a. ordnungswidrig, wer einen der Straftatbestände des § 52 Abs. 1 Nr. 2 bis 11 oder Abs. 2 LMBG durch fahrlässiges Verhalten verwirklicht. Dies liegt hier hinsichtlich der Vorwürfe aus beiden Bußgeldbescheiden nicht fern, auch wenn im Bescheid vom 20.02.2002 keine Bestimmung des LMBG zitiert wurde, obwohl ein Verstoß gegen das Verbot des § 17 Abs. 1 Nr. 2b LMBG in Betracht kam. Somit durfte es das Amtsgericht nicht offenlassen, ob der Betroffene die ihm zur Last gelegten Taten möglicherweise fahrlässig begangen hat.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Die Sache musste deshalb zur neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, zurückverwiesen werden.
Ende der Entscheidung
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